Die meisten ausländischen Besucher verbinden mit Kanada die Vorstellung von endloser Weite, eingebettet in eine grandiose Landschaft, die noch weitgehend unberührt und intakt ist. Diese Erwartungshaltung lässt sich natürlich trefflich durch Zahlen belegen: Rund 32 Mio. Menschen – zwei Fünftel der deutschen Bevölkerung – verlieren sich auf 9,97 Mio. km², der 30-fachen Fläche Deutschlands. Mit anderen Worten: Das nach Russland zweitgrößte Land der Erde ist praktisch unbewohnt.
Mit diesen faszinierenden Bildern im Kopf reisen denn auch die meisten Urlauber an – und landen erst einmal in Toronto. 3,3 Mio. Einwohner, verstopfte Highways, lärmender Straßenverkehr, kurzum: Hektik, die man von zu Hause kennt und der man eigentlich entfliehen wollte. Aber auch das ist Kanada: Metropolen von Weltrang wie Toronto und Montréal, die mit futuristischer Hochhausarchitektur und modernen Shopping Malls aufwarten, eine beschauliche Hauptstadt Ottawa, die über zahlreiche Forschungseinrichtungen und Museen erste Güte verfügt. Québec City, die europäischste Stadt, die ein einziges stadtmauerbewehrtes Museum zu sein scheint, und schließlichHalifax, der maritime Geheimtipp mit der hohen Lebensqualität.
Zum Eindruck zählt auch die ewige Verwechslung dieses an sich so unverwechselbaren Landes: Auf den ersten Blick ist alles irgendwie amerikanisch, die Architektur, die Autos, die Sprache, das Fernsehen. Schlimm genug also, dass Hollywoodgrößen wie „Blues Brother“ Dan Aykroyd, „Captain Kirk“ William Shatner oder der verstorbene Komiker John Candy, die genauso aus Kanada stammen wie die Popstars Neil Young, Celine Dion und Bryan Adams, immerzu für Amerikaner gehalten zu werden. Wenn dann aber noch die typisch amerikanische Herablassung gegenüber dem nördlichen Nachbarn hinzukommt, ist dies für die meisten Bewohner mehr als ärgerlich. Kanada ist ganz anders, sagen die Kanadier gern. Zum einen hat das Land – obwohl auch eine multiethnische Gesellschaft – nicht mit den sozialen Problemen zu kämpfen wie die USA. Slums, Gettobildung oder Rassenunruhen sind hier unbekannt. Zum anderen verdeutlicht ein Blick in die Geschichte, dass die Entwicklung stark vom Antagonismus zwischen England und Frankreich geprägt wurde. Vor allem das 18. Jahrhundert sah mal die Briten, mal die Franzosen auf der Siegerseite, bis nach dem Siebenjährigen Krieg im Frieden von Paris 1763 die französischen Besitzungen in Nordamerika endgültig an das Vereinigte Königreich fielen. Das hatte zur Folge, dass die frankophonen Bewohner Ostkanadas zunehmend ihre Identität in der französischen Sprache und Kultur suchten. Daraus und aus einem Gefühl politischer und wirtschaftlicher Ohnmacht gegenüber den Angelsachsen entwickelte sich die separatistische Bewegung, die bis heute vor allem in der Provinz Québec zu Hause ist.
So verwundert es nicht, dass man in eine andere Welt eintaucht, sobald die Grenze von Ontario nach Québec überschritten wird. Zunächst hat jeder, auch der, der des Französischen leidlich mächtig ist, Probleme mit dem harten altmodischen Akzent der Menschen, der an das Bretonische erinnert. In Québec schlägt dem Besucher jedoch auch das beschwingte Lebensgefühl der Frankokanadier entgegen. Das französische Flair hat sich bis heute in vielen Lebensbereichen erhalten: im Straßencafé von Montreal genauso wie beim Dorf-Schwätzchen auf dem Land und natürlich auf der Speisekarte.
Nova Scotia liegt zwischen dem 47. und 48. nördlichen Breitengrad auf gleicher Höhe wie Südfrankreich und Norditalien. Die Hauptstadt ist Halifax. Sie besitzt nach Sydney in Australien den zweitgrößten Naturhafen der Welt. Vor einigen Jahren erklärten die allgegenwärtigen „Trend Scouts“ die 320.000-Einwohner-Stadt Halifax zur „In-City“. Nova Scotia ist flächenmäßig die zweitkleinste Provinz Kanadas. Die Provinz besteht im Wesentlichen aus einer Halbinsel, die vom Atlantischen Ozean umgeben ist, und der Kap-Breton-Insel nordöstlich des Festlandes. Unzählige Buchten und Fischerorte säumen dabei die Küste der Provinz. Kein Punkt in Nova Scotia ist mehr als 56 km vom Meer entfernt. Der ausgesprochen maritime Charakter der Provinz kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass sich ihre vier extremsten Punkte alle auf Inseln befinden: Im Süden ist es das Cape Sable auf der gleichnamigen Küsteninsel. Im Westen ist es die ebenfalls in Küstennähe befindliche Brier-Insel. Den nördlichsten Punkt der Insel bildet die in der Cabotstraße gelegene Sankt-Paul-Insel. Und im Osten ist es die ca. 175 km vor der Küste Nova Scotia gelegene Sable-Insel. Das Klima Nova Scotias wird stark von der Lage am Atlantischen Ozean und dem Golfstrom beeinflusst. So sind die Winter mild, mit Durchschnittstemperaturen von 0° C bis -10 ° C. Die Sommertemperaturen von teilweise über 30°C werden durch eine leichte Meeresbrise zur Erholung, nicht zur Strapaze. In dieser perfekt ausgewogenen Mischung aus angenehm warmen Tagen und frischer, leicht salziger Luft lassen sich alle Aktivitäten in vollen Zügen genießen.
Ontario gilt als das Herz Kanadas. Hier gibt man sich geschichtsbewusst, erinnert sich gern des britischen Erbes, ist jedoch zugleich patriotisch auf Unabhängigkeit bedacht und genießet die Rolle des Schrittmachers im Land.
New Brunswick, Prince Edward Island, Nova Scotia und Neufundland, wie wir die Provinz Newfoundland im Deutschen nennen, standen lange auf der Schattenseite Kanadas. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ging an ihnen vorbei und die überwiegende Zahl der Touristen zog es in die Metropolen Toronto und Montréal, zu den Naturschönheiten der Rocky Mountains oder an die Pazifikküste von British Columbia in Westkanada. Inzwischen hat sich einiges zugunsten der östlichen Provinzen verändert.
Québec ursprünglich Algonkin Kebec für „wo der Fluss enger wird“, ist die flächenmäßig größte Provinz Kanadas und jene mit dem größten frankophonen Bevölkerungsanteil. Mit ihrer Sprache, ihrer Kultur und ihren Institutionen stellt sie eine eigenständige nationale Gemeinschaft innerhalb Kanadas dar. Québec liegt im Osten Kanadas und grenzt im Westen an die Provinz Ontario und die Hudson Bay, im Osten an die Provinzen Neufundland und Labrador und New Brunswick, im Süden an die Vereinigten Staaten (Bundesstaaten Maine, New Hampshire, Vermont, New York) sowie im Norden an Nunavut.
Doch keine Sorge: Die gestiegenen Besucherzahlen in Ostkanada haben bislang noch nicht zu Verhältnissen geführt, die als überlaufen bezeichnet werden könnten. Selbst im Hochsommer findet der Naturliebhaber immer noch ein ruhiges Plätzchen an einem der beinahe unzähligen Seen. Die grandiose, in weiten Teilen noch unberührte Natur ist das Pfund, mit dem die Kanadier am meisten wuchern. Zahlreiche National- und Provinzparks verbinden Komfort und Abenteuer in perfekter Weise zu einem Naturerlebnis, das gerade den anspruchsvollen, nur beschränkt risikofreudigen Städter begeistert. Für den fortgeschrittenen Outdoor-Anhänger hingegen bietet das riesige kaum erforschte Hinterland die Möglichkeit, bis an die eigenen physischen Grenzen zu gehen. Ob man mit dem Kanu über Hunderte von Kilometern durch nahezu unberührte Seenlandschaft gleitet, mit Zelt und Angel gerüstet durch einsame Wälder und Flussgebiete wandert oder auf den Pfaden von Elchen, Karibus und Bären durch die Wildnis streifen möchte, Kanadas Osten ist in jeder Hinsicht ein Paradies für Naturliebhaber. Beeindruckend ist, dass man immer und überall in diesem weiten Land auf gastfreundliche Menschen trifft, die bereitwillig weiterhelfen und dem ausländischen Besucher mit Herzlichkeit und Interesse begegnen.
An zahlreichen Orten in Ostkanada wandelt der historisch Interessierte auf den Spuren der europäischen Entdecker des 15. und 17. Jahrhunderts, stößt auf John Cabot und Samuel de Champlain, auf Jacques Cartier und Etienne Brulé. Denkmäler, Strassen und Plätze, Museen, Festungen und Türme weisen den Weg zu den Anfängen, als Kanada noch Spielball anderer Mächte war. Didaktisch ausgezeichnet aufbereitete National Historic Sites mit ihren oft original-kostümierten Laiendarstellern sind ein lebendiges Beispiel für die unterhaltsame Vermittlung der Landesgeschichte. Damit ist zunächst natürlich die Historie der „Zugereisten“ gemeint, doch auch Kultur und Geschichte der Indianer und Inuit erfahren ein zunehmendes Interesse. Das Verhältnis zwischen den Ureinwohnern und den Weißen historisch unbelastet zu nennen, würde wohl kaum der Realität entsprechen. Zwar hat die Auseinandersetzung vor allem zwischen den Indianern und den weißen Siedlern nie eine solche Brutalität und Schärfe erreicht wie in den USA, doch auch in Kanada schob man die Indianer in Reservate ab, ließ sie nicht n Entwicklung und Wohlstand teilhaben. Erst zu Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden die Rechte der Ureinwohner als ursprüngliche Besitzer des Landes (First Nations) gesetzlich anerkannt und verfassungsmäßig verankert. Seitdem schlossen beide Seiten mehrere Verträge ab, die den Indianern und Inuit Kompensationen in dreistelliger Millionenhöhe garantierten.